LERNEN MIT ZUKUNFT

24 | MÄRZ 2021 In Zeiten des Stillstands: WAS WIR MOMENTAN VOM THEATER LERNEN KÖNNEN Die Kunst der Improvisation Foto: © Kyle Head | unsplash.com H ätte man mich vor einem Jahr gefragt, wie meine Pläne für die nahe Zukunft aussehen, hätte ich sofort eine Antwort parat gehabt: In zwei Monaten ist Premiere, nebenbei laufen Proben für eine weitere Produktion, ich will endlich den Bachelo- rabschluss schaffen und werde bestimmt noch irgendwo anders irgendwie Theater machen, da tut sich sicher etwas auf. KUNST IST EBEN DOCH SYSTEM- RELEVANT Das Einzige, was sich bekanntlich in den nächsten Monaten tatsächlich auftat, war und ist eine große Leere – auch auf den Bühnen der Kunst- und Kulturland- schaft. Spätestens jetzt, Anfang 2021, haben bestimmt nicht nur die Kunst- und Kulturschaffenden, sondern auch alle Kunst- und Kulturkonsument*innen gemerkt: Ab einem gewissen Zeitpunkt ist die Kunst doch systemrelevant. Und damit meine ich nicht die großen, jederzeit verfügbaren Streamingdienste, die sich während der Lockdowns 1, 2 und 3 wahrscheinlich eine goldene Nase verdient haben. Damit meine ich alle Museen, Ausstellungsräume, Konzert- hallen, Clubs, Kinos und eben auch die Theater, die am besten funktionieren, wenn Menschen zusammenkommen und nicht jede*r alleine zu Hause vor einem Bildschirm sitzt. Wo sind all die Räume und deren Raum- schaffenden hin, in denen wir Menschen zusammenfinden, sich die Realität neu verhandeln, die Zukunft erträumen und Vergangenes erforschen lässt? Ein Teil der Raumschaffenden hatte über kurz oder lang keine Wahl und musste genau wie der Friseursalon ums Eck oder das Kaffeehaus des Vertrauens dichtmachen. Ein weiterer Teil hat sich in die Tiefen des Internets vorgewagt um, mehr oder weniger erfolgreich, neue Formen zu finden und alle anderen stehen hinter verschlossenen Türen und scharren seit 12 Monaten ungeduldig mit den Hufen bereit die Welt zurückzuerobern. DIE KUNST DER IMPROVISATION Auch ich will nicht mehr warten. Seit ei- nigen Jahren bin ich als Schauspielerin in der freien Theaterszene Wiens aktiv und habe die Möglichkeit, ebendiese Diskurs- räume mitzugestalten, ein Publikum zu berühren, zu schockieren, vor den Kopf zu stoßen, zum Nachdenken anzuregen oder es schlichtweg für einen Moment von der ganz eigenen Realität abzu- lenken und zu unterhalten. Dass dies gerade nur begrenzt möglich ist, macht mich traurig, wütend und lässt mich an vielen Dingen zweifeln. Aber wenn es et- was gibt, das mich das Theater in Zeiten des Stillstandes gelehrt hat und das uns allen, ob Kulturinteressent*innen oder Kulturverweigerern, eine Hilfe sein kann, dann ist es die Kunst der Improvisation. Ein Grund, weshalb bestimmt nicht nur ich das Theater liebe, ist diese gewisse Unberechenbarkeit, die bei jedem The- aterbesuch dabei ist. Auch wenn eine Vorstellung zum fünfzigsten Mal gespielt wird, so ist sie doch jedes Mal etwas anders als die Vorherige. Mal bringt das Publikum eine ganz andere Energie mit, mal hat man vor einem Auftritt besser oder schlechter geschlafen und manch- Lena Knapp Studentin und freie Schauspielerin Foto: © Robert Krenker

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