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12 | MÄRZ 2022 Organ on a Chip: Werden Tierversuche bald überflüssig? MODELL EINES LEBENDEN ORGANISMUS AUF EINEM KLEINEN PLASTIKPLÄTTCHEN D ie Bemühungen, Tierversuche nach Möglichkeit zu reduzieren oder gar zu ersetzen, wurden vor über 10 Jahren mit der Einführung der Europäischen Richtlinie zum Schutz von Versuchstieren inten- siviert. Die niederländische Regierung beabsichtigt gar, bis 2035 alle gesetzlich vorgeschriebenen Tests ohne Versuchs- tiere durchführen zu wollen. Bis dahin ist es aber noch ein weiter Weg. Neben der Nutzung von Zell- und Bakterien- kulturen, einfacheren Organismen wie Fadenwürmern, Hühnereiern oder Süßwasserpolypen, Miniorganen in der Petrischale (Organoide, siehe LMZ August 2018) und Attrappen und Simu- lationen für die Ausbildung gibt es auch die Entwicklung von Testsystemen mit lebenden Zellen in kleinen Kunststoff- kammern, genannt “Organ on a Chip“: Dabei werden in kleine Kunststoffplat- ten eine Reihe von winzigen Kammern eingearbeitet. In jede Kammer kommt eine andere Sorte Zellen (Niere, Leber, Nerven, Muskel, etc.). Durch Kanäle sind die Kammern verbunden und werden mit Nährstoffen versorgt. Dann lässt man Testsubstanzen in verschiedenen Kon- zentrationen durchlaufen und schaut, ob es schädliche Effekte auf bestimmte Gewebetypen gibt. Manche Substanzen sind nicht direkt schädlich, sondern erst nach Abbau in der Leber und wirken sich dann z.B. auf das Lungengewebe aus. Wenn die Kanäle in dem Chip einen Kreislauf bilden, kann man solche Effekte erkennen und braucht dafür nicht mehr am lebenden Versuchstier zu testen. Außerdem kann man mit menschlichen Zellen arbeiten und es stellt sich nicht mehr die Frage, wie gut Ergebnisse an Versuchstieren auf den Menschen über- tragbar sind. Solche Testsysteme könnte man auf vielfältige Weise in der Entwick- lung von Medikamenten, bei der Prüfung schädlicher Substanzen (Toxizität) bis hin zur personalisierten Medizin nutzen. Ein ausgesprochen ambitioniertes Ziel ist es, einen Human on a Chip herzustellen, also alle Organe und Gewebe eines Menschen auf einem einzigen Chip zu vereinen. Bis dahin gibt es leider noch eine ganze Reihe von Problemen zu lösen: Die auf den Chip aufgetragenen Zellen müssen frisch sein und leben nur kurze Zeit. Man braucht also häufig gleichzeitigen Nachschub von menschlichem Gewebe verschiedenster Organe. In den OP-Sälen fällt aber überwiegend krankes Gewebe an. Man muss also sorgfältig die wenigen gesunden Zellen, die bei einer OP mit entfernt werden, von den ganzen kranken Zellen trennen. Zudem hat jeder Patient eine andere Vorgeschichte (Raucher, Diabetiker, etc.). Die Zellen auf dem Chip haben je nach Herkunft eine andere Qua- lität, was die Ergebnisse solcher Chips wenig vergleichbar macht. Die Organe in unserem Körper haben mitunter direkten Kontakt und sind nicht nur über Flüssig- keiten verbunden. Substanzen können direkt von den Hautzellen in Muskel- Thomas Kolbe Fachwissenschaftler für Versuchstierkunde, Ao. Prof. für die Service-Plattform Biomodels Austria Veterinärmedizinische Universität Wien

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