LERNEN MIT ZUKUNFT
Leni: BITTE SEIEN SIE WACHSAM UND SCHÜTZEN SIE KINDER VOR JEGLICHER FORM DER GEWALT 14 | JUNI 2022 Eine Überlebende ritueller Gewalt In den folgenden Schilderungen sind die Namen erfunden. Auf die Nennung von Orten und Institutionen wird bewusst verzichtet. Sie bleiben zum Schutz von Leni und ihrer heutigen Lebensgemein- schaft im Ungefähren. L eni ist heute 27 Jahre alt. Sie konnte einem Martyrium entkom- men, dem sie in ihren ersten 21 Lebensjahren ausgesetzt war. Leni wurde Opfer sexualisierter und organi- sierter ritueller Gewalt, wurde über viele Jahre psychisch und physisch gequält, missbraucht und grausamen Ritualen unterworfen - von ihren eigenen Eltern in einem Netzwerk von Täter*Innen. 1 Leni führt als junges Mädchen nach außen hin ein fast normales Leben. Sie kommt aus einem angesehenen Eltern- haus. Ihre Mutter ist Sozialpädagogin. Ihr Vater, ein Universitätsprofessor, nimmt sie oft mit auf Reisen. Lenis große Leidenschaft ist das Voltigieren. Alles sieht nach einer heilen Welt aus. Niemand ahnt zunächst, was sich hinter dieser Fassade verbirgt. Als Leni auffällig wird, sorgen die Eltern für eine gefälsch- te Diagnose: „Autismus“. Ihr Verhalten scheint erklärt. Sie besucht fortan als Inklusions-Schülerin ein privates Mäd- chengymnasium. Der wahre Grund für ihre Leiden bleibt verborgen. Nur Paula, ihre Voltigier-Trainerin ahnt nach einiger Zeit, dass etwas nicht stimmt mit der Diagnose. Während des Trainings hat Leni immer wieder einmal Aussetzer, kippt um und ist außer sich. Wie in einem anderen Bewusstseinszu- stand erzählt sie dann von Horrorerleb- nissen. Paula wird klar, dass das keine erfundenen Geschichten eines autisti- schen Mädchens sein können, sondern Schilderungen und Zeugnisse von erlit- tenem Leid und einer bitteren Realität. Sie verschafft Leni kleine Einblicke in eine andere, normale Welt, ermutigt sie, sich Hilfe zu holen, um aus dem Täterkreis auszubrechen. Vor 10 Jahren beginnt damit für Leni ein beispielloser Irr- und Leidensweg. In nur drei Jahren durchläuft sie 14 unterschiedliche Stati- onen: Beratungsstellen, Mädchenhäuser, Wohngruppen, Kliniken, teils geschlos- sene psychiatrische Einrichtungen. Einer Diagnose folgt die nächste. Leni wird mit Psychopharmaka still gestellt. Niemand glaubt ihr. Viel schlimmer noch, Leni bleibt im Netz der organisierten ritu- ellen Gewalt gefangen. Auch hinter den Kliniktoren ist sie im Zugriff von Täter*Innen. Mit 18 wird sie für ein Jahr in eine geschlossene Abteilung verlegt. Als sie entlassen wird, ist sie keineswegs „geheilt“. Sie sucht auf eigene Faust nach Hilfe und findet sie. DISSOZIATIVE PERSÖNLICHKEITS- STRUKTUR Die schweren traumatischen Erlebnisse haben tiefe Spuren hinterlassen. Manch- mal reichen kleine Auslöser. So kann es beispielsweise sein, dass ein bestimmtes Geräusch, ein Geruch oder eine verse- hentlich verschlossene Autotür Leni in einen anderen Bewusstseinszustand versetzen. „Alles ist dann furchtbar“ schildert Leni selbst. Manchmal schreit sie einfach oder schlägt um sich. Sie fühlt sich losgelöst von sich selbst, erlebt ihr Verhalten als nicht zu sich gehörend. Es kommt vor, dass sie sich danach an nichts erinnern kann. Die wiederholte Anwendung schwerer körperlicher und psychischer Gewalt hat multiple Traumata zur Folge, die zu einer
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