LERNEN MIT ZUKUNFT
16 | JUNI 2022 „Dissoziativen Identitätsstörung“ führen können – so der Fachbegriff. Organisierte, sexualisierte Gewalt erzwingt „eine gezielte Aufspaltung der kindlichen Persönlichkeit. Die entste- henden Persönlichkeitsanteile werden für bestimmte Zwecke trainiert und benutzt.” 2 Die Opfer werden regelrecht abgerich- tet und gefügig gemacht. In einer gewaltvollen Wirklichkeit erfüllt die Dissoziation, also die Abspaltung des Erlebten für die Opfer, eine existentielle Schutzfunktion. Sie hilft bei der seelischen Verarbeitung des Ungeheuerlichen und stellt eine überlebenswichtige Anpassungsleistung der Opfer dar. 3 FEHLENDE ERINNERUNGEN, UNGESTRAFTE TÄTER*INNEN Kinder und später dann Erwachsene mit multiplen Persönlichkeitsstrukturen sind in der Regel nicht in der Lage, ihre Erlebnisse bis ins letzte Detail schlüssig und nach- vollziehbar darzustellen. So erinnern sie sich beispielsweise zwar an Opferrituale, können sich aber nicht an den Ort erinnern - was zum Wesen der Dissoziation gehört. Das macht die Verfolgung der Täter*Innen sehr schwierig oder erstickt sie im Keim. Die Aussagen der Opfer sind juristisch nicht beweiskräftig und in den Augen von Polizei und Staatsanwaltschaft bisweilen auch unglaubwürdig, vielleicht weil sie so ungeheuerlich und unfassbar sind. Die Fälle werden oft nicht konsequent verfolgt oder als nicht justiziabel zu den Akten gelegt. Die Täter*Innen bleiben ungestraft. Oft kommt es nicht einmal zu einer Anzei- ge, weil Opfer schlichtweg Angst haben vor der Verfolgung durch die Täter*Innen. In rituellen Gewaltstrukturen gilt ein striktes Schweigegebot. Das macht es Aussteiger*Innen - Opfern wie Täter*Innen - besonders schwer. Sie werden von den Täter*Innen unter Druck gesetzt und ver- folgt. LEBEN IN SICHERHEIT Leni lebt heute unter anderem Namen und mit einer neuen Identität, einem neuen Ausweis. Sie ist unter ihrer alten Identi- tät nicht mehr auffindbar. Das schützt sie vor den Täter*Innen. Schutz hat Leni auch in ihrer neuen Familie gefunden. Hier lebt sie seit fünf Jahren. Ihr Irrweg hat ein Ende. Die Ein- richtung bietet komplex traumatisierten jungen Menschen
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