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information & wissenschaft LebensWandel: Im Zeitalter der Epigenomik 14 | SEPTEMBER 2019 GUTE GENE ALLEINE SIND NICHT ALLES Thomas Kolbe Fachwissenschaftler für Versuchstierkunde, Ao. Prof. für die Service-Plattform Biomodels Austria Veterinärmedizinische Universität Wien Fotos © pixabay.com spruchten Muskelzellen das Programm von ›Sofasitzen‹ auf ›Bodybuilding‹ um. Dazu wird der Energiestoffwechsel der Zellen effizienter gestaltet, die Abfal- lentsorgung verbessert u.v.a.m. Warum das nicht schon vorher geschah? Weil keine Notwendigkeit bestand und der Muskel im Sparmodus lief. Das gilt für alle Zellen im Körper, für alle Gewebe und Organe. Somit geben die von den Eltern ererbten Gene das Spektrum der möglichen Reaktionen vor. Innerhalb dieser Möglichkeiten bestim- men aber die Umwelteinflüsse, wie der Körper im Detail funktioniert. Soweit vielleicht noch ganz interessant, aber jetzt kommt es: Diese aktuelle Einstellung der Gene kann auch an die Kinder und Enkel vererbt werden! Zuerst fand man in Tierversuchen heraus, dass in hohem Maße energiereich (fett) gefütterte Rattenmännchen Töchter zeugten, die vermehrt an Diabetes erkrankten. Durch die Fehlernährung der Väter waren Gene für den Ener- giestoffwechsel auf dem väterlichen X-Chromosom anders geschaltet worden und so an die Töchter vererbt worden, die bei normaler Ernährung an Diabetes erkrankten. Rattenväter, die 3 Monate vor der Zeu- gung Stress hatten, zeugten vermehrt depressive Nachkommen. Inzwischen hat man durch viele Studien am Men- schen diese Befunde erhärtet. E pigenomik? Was ist das schon wieder? Seit dem Abschluß des Human Genome Projektes 2003 ist der Begriff ›Genom‹ hoffent- lich schon einmal gehört worden. Das bezeichnet die Summe aller Erbanlagen (Gene) in jeder einzelnen Körperzelle. Damals war man sehr verwundert, dass statt der erwarteten 100.000 Gene nur ca. 23.000 Gene gefunden wurden. Die restlichen 80% des Erbgutes hat man einfach als ›Schrott‹ (Junk DNA) be- zeichnet. Lauter defekte Genvarianten, fehlgeschlagene Versuche der Evolution, dazu inaktivierte Virusgene und unnütze genetische Elemente. In den letzten 10 Jahren haben die Forscher aber erkannt, dass dem nicht so ist: In diesen 80% DNA stecken Unmen- gen regulatorischer Gene, genetischer Schalter, Elemente zum Aktivieren und Inaktivieren der 23.000 funktionellen Gene. Diese spielen mit unserem Erbgut wie mit einem komplizierten Musikin- strument. Durch Anhängen chemischer Seitenketten (Methylgruppen) können Gene von jetzt auf gleich ablesbar gemacht oder im Gegenzug stillgelegt werden. Mutation und Selektion wirken nur über lange Zeiträume auf die Gene, über viele Generationen. Epigenese wirkt sofort, als direkte Reaktion auf die Umweltbe- dingungen eines Individuums. Sobald man anfängt, einen Muskel zu trainie- ren, stellen diese Schalter in den bean-

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