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information & wissenschaft Simulation versus Realität: UNSER GEHIRN KONSTRUIERT FÜR JEDEN SEINE ODER IHRE GANZ INDIVIDUELLE WELT Foto: © galaxy-610663 | pixabay.com Leben wir alle in derselben Welt? Thomas Kolbe Fachwissenschaftler für Versuchstierkunde, Ao. Prof. für die Service-Plattform Biomodels Austria Veterinärmedizinische Universität Wien 20 | SEPTEMBER 2020 verschiedenen Input, kann sich nicht für eine Variante entscheiden und wechselt ständig zwischen den beiden Bildern hin und her. Aufgrund dieser ›binokularen Rivalität‹ sehen wir abwechselnd mal das eine Bild, dann das andere. Unser Gehirn kann auch andere Sze- nerien für uns entwerfen. Wenn wir schlafen ist das Bewusstsein ausge- schaltet, aber das Gehirn ist hochgradig aktiv. Wir nennen das ›Träumen‹. Dabei simuliert das Gehirn ausgehend von früheren Erfahrungen und Erlebnissen ganz eigene Szenen und Begebenheiten, teilweise ausgesprochen realistisch, teil- weise ausgesprochen phantastisch. Die Psychologen erklären das damit, dass das Gehirn frisch erlebte Dinge zuordnen und verarbeiten muss. Es gibt sogar noch einen dritten Zustand, in dem das Gehirn Umwelt darstellt. Bei Halluzinationen, bedingt durch Drogen, Medikamente oder Beschädigungen des Gehirns, stellt uns das Gehirn eine Welt dar, wie es sie in der Realität so nicht gibt. So wird aus einem Autobus z.B. plötzlich ein rosa Elefant. Für das Gehirn, für diese Person ist diese Wahrnehmung in dem Augenblick real. Für alle anderen Personen bleibt das Objekt dagegen ein Autobus. Natürlich sind diese Bewusstseinszustän- de kein entweder - oder, sondern es gibt fließende Übergänge von leicht unter- schiedlicher selektiver Wahrnehmung („so habe ich das nicht ausgedrückt“) bis zu als eindeutig abweichend wahrge- S chon in der Antike rätselten Phi- losophen wie Platon darüber, wie real die von uns erlebte Welt wirk- lich ist (siehe Höhlengleichnis). Neurophysiologen sind heute mit mo- dernsten Methoden der Lösung auf der Spur, haben aber noch keine endgültige Erklärung. Wenn wir einen Gegenstand wahrnehmen und die Farbe als ›rot‹ be- zeichnen, dann wird eine andere Person das vermutlich bestätigen können. Aber nur aufgrund der Konvention, dass wir beide damit aufgewachsen sind, dass alle genau diese Farbe als ›rot‹ bezeich- net haben. Ich weiß überhaupt nicht, wie mein Gegenüber diese Farbe wirklich wahrnimmt. Wir haben uns nur beide darauf geeinigt, diese Farbe mit ›rot‹ zu bezeichnen. Tatsächlich fängt mein Auge elektro- magnetische Wellen einer bestimmten Wellenlänge auf und mein Gehirn stellt diese Wahrnehmung mit einer Farbe dar. Dabei kann mein Auge – im Unterschied zu manchen Tieren - nur einen sehr kleinen Bereich des elektromagnetischen Spektrums wahrnehmen. Alles andere meiner Umwelt bleibt mir verschlossen. Im hinteren Teil meines Großhirns bastelt mein Bewusstsein aus allem sensorischen Input nun ein Abbild meiner Welt zusammen. Mit optischen Täuschungen können wir es dabei leicht überlisten. Wenn wir jedem Auge ein unterschiedliches Bild anbieten (verschiedene Personen oder Gegen- stände), bekommt unser Bewusstsein

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