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Wahnsinn
Der Fall H. A. Se. - Teil 2:
QUO VADIS?
ONLINEZEITUNG:
information & gesundheit
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6 | JUNI 2014
Fotos: © Althanasia Nomikou - Fotolia.com
FREMDBESTIMMUNG
Was soll sich nun in den drei Jahren
des Weggesperrtseins zum Wohle des
Patienten ändern? In einer forensischen
Anstalt läuft der Patient Gefahr, seine
Fähigkeit für einen normalen Lebens-
vollzug völlig zu verlieren. Der Verlust
jeder privaten Sphäre, die weitgehende
Überwachung, die meist überdosierte
Medikation und die damit verbundenen,
unerwünschten Arzneimittelwirkungen
sind oft ein Verstärker oder gar Auslöser
psychotischen (=wahnhaften) Verhal-
tens. Standard ist die Ruhigstellung
durch Psychopharmaka (antipsychotisch
wirkende Neuroleptika und Antidepres-
siva u.a.), die den Patienten meist auch
zum Versuchskaninchen werden lassen.
Oft werden nämlich Medikamente dieser
Art nicht so gut vertragen, bewirken
vermehrtes Speicheln, Tremor
(Zittern der Hände), Krämpfe, Bewe-
gungsunruhen (Akathisie), Müdigkeit,
Schwitzen, Mundtrockenheit, drastische
Gewichtszunahmen und Verstopfungen.
Der Cocktail verschiedener Psychophar-
maka bringt Menschen mitunter sogar
in Lebensgefahr, wenn die Dosierung
und die Mischungen nicht stimmen, oder
der Gesamtzustand der Patienten nicht
entsprechend untersucht und kontrolliert
wird. So wurden „Neuroleptika“ schon
als „chemische Knebel“ bezeichnet,
an welchen man durchaus auch ersti-
cken kann, was unserem Fallpatienten
beinahe passiert wäre, weil er aufgrund
eines Krampfes beim Essen nicht mehr
schlucken konnte.
I
n Deutschland zum Beispiel werden
jährlich ungefähr 200.000 Personen
in einer psychiatrischen Anstalt
untergebracht (prozentuell ist der Anteil
in anderen europäischen Ländern kaum
viel anders). In etwa die Hälfte davon,
also zirka 100.000 Menschen, werden
wegen fehlender oder mangelhafter
„compliance“ (=Annahme der Behand-
lungsmaßnahmen) auch zwangsbe-
handelt. Unter strengster Beobachtung
muß der Kranke seine Medikamente
schlucken (in Tropfenform, Kapseln
oder Tabletten), oder die Medikamente
werden mittels Spritzen verabreicht, oft
auch unter Fixierung des Patienten.
Im Fall H.A.Se. handelt es sich um einen
nicht unvermögenden Wirtschafts- und
Steuerberater, der nach mehreren Auf-
enthalten in psychiatrischen Anstalten
aufgrund seiner schizoaffek-
tiven Erkrankung nunmehr
wegen Verkehrsdelikten
oder Streitigkeiten mit
anderen Bewohnern seines
Wohnhauses, durch drei
Polizisten in eine forensische
Klinik (geschlossene Psychiatrie)
gebracht wurde. Auf Veran-
lassung seines Betreuers für
die Belange der allgemeinen
Lebensführung und des fol-
genden Gerichtsbeschlusses
wurde eine Internierung
für zunächst drei Jahre
festgelegt, welche vom
begutachtenden Psychi-
ater empfohlen worden
war.
Prof. Franz W. Strohmer
med. Journalist