information & persönlichkeit
Neuanfang:
AUSZUG AUS „MEIN JAKOBSWEG“
Der Weg als Übergangsritual
würdigen und dann aber loslassen, um
endlich frei und offen zu sein für das
neue. Eine schöne Gegend durchwan-
dern und dabei in Gedanken meinen
Weg als Coach und Psychotherapeut zu
gestalten – das war die Idee.
Um der Sache zusätzlich Ernsthaftigkeit
zu verleihen, schrieb ich mein Testa-
ment. Nicht aus der Angst, dass ich auf
dem Weg sterben könnte. Ich wollte
mich einfach nur mit dem Gedanken
an den eigenen Tod konfrontieren. Ich
wollte meine Endlichkeit realisieren. Ich
wollte verstehen lernen, dass die
Zeit knapp ist. Dass ich sie nutzen
musste für jene Dinge, die mir
wichtig sind.
Von einem ein Meter langen
Schneidermaßband schnitt ich
pro Lebensjahr einen Zentimeter
ab: Wie alt wollte ich werden?
Wieviele Zentimeter maß also mein
ganzes Leben? Wieviele Zentimeter
davon hatte ich schon hinter mir?
Und wieviele Zentimeter würde ich
dereinst gealtert und entsprechend
kraftlos verleben? An dem ver-
bleibenden Stück Maßband in der
Hand erkannte ich klar, dass nicht
mehr viel Zeit blieb, die ich selbst
gestalten konnte
I
ch war angeschlagen. Mehr als
zwei Jahrzehnte in den Branchen
Logistik & Mobilfunk hatten Spu-
ren hinterlassen. Meine Arbeits-
wochen dehnten sich regelmäßig über
70 Stunden. Für die Familie blieb kaum
Zeit. Und irgendwann wurde mir übel.
Richtig übel. Speiübel. Den Tag hatte ich
verbracht wie jeden anderen. Arbeitend.
Mal konzentriert. Mal hektisch. Immer
unter Druck. Abends gegen zehn, nach
einem Geschäftsessen in der Wiener
Innenstadt auf dem Weg zur Garage am
Schwedenplatz, fährt dieser Schwindel
wie ein Blitz aus heiterem Himmel auf
mich nieder. Übelkeit. Schweißaus-
bruch. Atemnot. Ich setze mich in der
Rotenturmstraße auf die Gehsteigkante.
Menschen starren mich an. Keiner fragt,
ob ich Hilfe brauche. Ich konzentriere
mich auf meine Bauchatmung. Es wird
besser. Langsam gehe ich weiter. Steige
ins Auto. Fahre los. Plötzlich wieder
dieser Schwindel. Ich kann anhalten.
Die Ampel ist grün. Ein Hupkonzert. Ich
steige aus und übergebe mich. Die Welt
bewegt sich, umkreist mich, ein Ringel-
spiel. Ich verliere das Gleichgewicht,
falle...............
DIE IDEE
Ein Übergangsritual. Gehen, um anzu-
kommen. Den Weg zum Ziel machen und
ihn genießen. Gehend von einer Exis-
tenzform in die nächste wechseln, aus
dem Manager einen Psychotherapeuten
machen. Das alte Leben reflektieren, es
Ewald Zadrazil
Coach & Psychotherapeut
www.coach-zadrazil.at33 | MÄRZ 2015
tipp
Mein Jakobsweg
Ewald Zadrazil
ISBN 978-3-200-03918-6
ÖSTERREICHISCHES
WIRTSCHAFTSFORUM
Pilgern auf dem Jakobsweg:
Unterwegs nach Santiago de Compostela
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