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Abenteuer Leben:
NOCH NIE HABE ICH SO VIEL GELERNT UND DOCH NICHTS GEWUSST
Eine perfekt unperfekte Mami
Patricia Weiner
Autorin
Eltern-, und Familien-
beraterin
www.nah-am-leben.at30 | DEZEMBER 2017
Foto ©
pixabay.comN
atürlich hast du gewusst, dass
du unsicher sein wirst und dass
du „Fehler“ machen wirst. In
der Theorie hatte dieser Ge-
danke keine bedrohliche Ausstrahlung.
Leichtfüßig bist du in ein neues Aben-
teuer gestartet, mit viel Vertrauen und
einem starken, sicheren
Bauchgefühl. Dieser Zu-
stand hat dich durch eine
Bilderbuch-Schwangerschaft
und bei einem wundervollen Geburt-
serlebnis begleitet.
UND DANN KAM ICH.
Du hieltst mich in deinen Armen und
wusstest, noch nie gab es eine wich-
tigere Aufgabe in deinem Leben, als
jene mich zu begleiten. Noch nie,
war es dir so wichtig, alles „richtig“
zu machen. Perfekt zu sein für mich,
dein kleines großes Wunder.
Doch schon bald wurde dir klar,
dass das wohl nichts werden wird. Noch
nie hat dich jemand so sehr gefordert,
so sehr an deine persönlichen Grenzen
geführt und dir die Kontrolle in diesem
Ausmaß entzogen. Die Unsicherheit kam
schneller als der berühmt berüchtigte
Milcheinschuss. Zweifel schlichen sich
ein. 1000 Fragen ohne Antworten und
eine markerschütternde Angst, mir
als auch dir selbst nicht gerecht zu
werden.
Du hast in mir deine persönliche Lehr-
meisterin gefunden. Egal, was du zu
wissen glaubtest, ich zeige dir tagtäglich,
dass nichts fix ist. Ich ticke auf meine
ganz besondere Art und Weise, auch
jeden Tag ein bisschen anders. Wenn
ein Entwicklungsschub vorbei ist, kommt
eine Phase und macht auch mal die Pause,
ist Vollmond oder die Zähne machen sich
bemerkbar. Kaum denkst Du, mich zu durch-
schauen, ist wieder alles anders. Du ver-
stehst die Welt oft nicht mehr. Du tust Dinge,
die du nie tun wolltest. Du erlaubst mir (noch
– Anm. einer optimistischen Mami) Dinge,
die du nie zulassen wolltest. Du vergisst, bist
desorganisiert und hast längst aufgehört
groß zu planen. Deine Prioritäten haben
sich geändert, du hast dich geändert. Von
einem auf den anderen Moment ist deine
Welt eine andere, und auch das hat dich
ordentlich aus der Bahn geworfen.
Du hast ein bisschen gebraucht deine
Zweifel, Unsicherheiten, Gewissensbisse und
Schuldgefühle zuzulassen und zu begreifen,
dass es in diesem großen Abenteuer mit
mir kein „richtig“ und „falsch“, kein „so
gehört das“ und kein „perfekt“ geben kann
bzw. soll. Die Gesellschaft, die Medien und
andere Mütter vermitteln oft unechte Bilder,
die irritieren, unter Druck setzen und falsche
Vorstellungen vermitteln. Von denen hast du
dich verabschiedet, du übst dich im Anneh-
men, Loslassen und Unperfekt sein.
Und Mami, ich sag dir was: Ich finde es
wunderbar immer etwas Essbares unter dem
Tisch zu finden. Es macht mir großen Spaß
auf Wäscheberge zu klettern. Ich entwickle
mich trotz aller fehlenden Förderkurse wun-
derbar und liebe mein persönliches Baby-
schwimmen in unserer Badewanne.
Ich finde es grandios, dass das einzige in
dem du schlussendlich Perfektion anstrebst
das Unperfekt-sein ist. Und falls du mal Pau-
se brauchst vom „Lernen“, ist das überhaupt
kein Problem. Ich habe ja auch noch einen
perfekt unperfekten Papa, dessen Lehrmei-
sterin ich bin. Dein Kind