Bild: © Mag. Heimo Schrittwieser
27 | JUNI 2016
beginnen sich einige der Kinder in die
entgegengesetzte Richtung zu bewegen.
Ich lächle. Schließlich bleibt die gesamte
Klasse vor dem letzten Bild stehen. Die
Kinder sprechen wild durcheinander. Die
Lehrerin ermahnt sie zur Ruhe, doch die
meisten sind zu vertieft in ihre Ge-
spräche um sie wahrzunehmen. Die Kin-
der kennen das Bild. Ihre Eltern haben
ihnen davon erzählt. Ihre Lehrer haben
davon berichtet und die Nachrichten.
„Was ist das?“, fragt ein blonder Junge
die typische Frage.
„Das ist ein Zoo!“, antwortet ein Mäd-
chen mit langen schwarzen Haaren und
dunklen Augen.
„Nein, das ist das Weltall!“, entgegnet
ein anderes Mädchen.
„Das ist ein Wald!“, meint ein kleiner et-
was dicklicher Bub. „Niemals!“ „Doch!“
So geht das weiter. Zoo, Weltall, Wald,
Stadt, Autobahn, Bauernhof. Jeder sieht
etwas anderes in nur einem Bild. So
wie die Erwachsenen zuvor. Doch die
Antworten der Kinder sind Aussagen und
keine weiteren Fragen.
„Frau Lehrerin!“, sagt das dunkelhaa-
rige Mädchen schließlich, „Wieso sagt
Paul, dass das ein Wald ist, wenn es
doch ein Zoo ist?“
Die Lehrerin lächelt. Ich lächle auch.
„Weil jeder etwas anderes darin sieht.“
„Und wieso sieht jeder etwas anderes?“,
fragt das Mädchen weiter.
„Weil jeder anders ist“, antwortet die
Lehrerin.
Damit scheint sich das Mädchen zufrie-
den zu geben. Die Klasse bewegt sich
langsam weiter, verlässt fast widerwillig
den Raum und gibt der Stille wieder
Platz zum Atmen.
Ich trete aus dem Schatten heraus in
das Licht. Langsam bewege ich mich auf
das Gemälde zu und spüre, wie es mir
zulächelt.