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information & erinnerung

Der Beginn der freien Marktwirtschaft:

Morgen wird alles besser

MEIN MANN LIESS SICH ZU EINEM FRAUENTAG ETWAS GANZ BESONDERES

EINFALLEN

A

ls die Deutschen nach dem

verlorenen Krieg 1945 die Suppe

auslöffeln mußten, die Adolf

Hitler ihnen eingebrockt hatte,

hatte man keine Zeit für Rachegefühle.

Meine Familie, acht Personen, hatte das

Inferno überlebt, aber nun hungerten

wir entsetzlich. Es gab nichts Eßbares zu

kaufen. Reichsmark hatten wir genug,

aber was konnte man damit anfangen?

Alle Geschäfte waren geschlossen.

Meine Mutter, damals 50 Jahre alt, hat

unsere Familie durch ihre Hamstertouren

notdürftig ernährt. Kurztouren dauerten

einen Tag und gingen ins nahegele-

gene Münsterland. Wir erwarteten sie

dann sehnlichst am Abend. Manchmal

kam sie auch mit leeren Taschen und

erzählte weinend, wie man sie mit dem

Hund vom Bauernhof gejagt oder als

„Hamsterweib“ beschimpft hat. Bei

einer solchen Gelegenheit tröstete mein

Onkel sie mit den Worten: „Warte, wenn

die Bauern wieder auf dem Markt ihre

Produkte anbieten, dann werfe ich denen die

Eier an den Kopf!“

Mit seinen Worten zauberte er mir Bilder von

Eßbarem vor die Augen, daß mir das Wasser

im Mund zusammenlief. Dieser Phantast!

Ein Markt voll mit Dingen, die man einfach

kaufen kann? –

Das schien mir unmöglich. Ich war acht Jahre

alt, als der Krieg ausbrach und jetzt 16, ich

kannte es nicht anders, als daß alle Waren

rationiert waren.

1948 kam dann die Währungsreform. Als

ich mich eines Tages auf meinem Schulweg

dem großen Markt in Oberhausen-Sterkrade

näherte, vernahm ich einen großen Tumult.

Neugierig lief ich näher. Da bot sich mir fol-

gendes Bild: Vor der ausgebombten Ruine der

Clemenskirche – umgestürzte Marktstände,

Obst und Gemüsekisten flogen durch die Ge-

gend, ebenso Eier und Kartoffeln; Kohlköpfe

rollten über die Steinbrinkstraße!

Das alles wurde von einem Riesengeschrei

begleitet. Ich fand die Szene beängstigend

und brachte mich schnell in Sicherheit. Im Da-

vonlaufen fielen mir die Worte meines Onkels

ein und ich empfand eine innere Genugtuung.

Der Hunger damals hatte auch weh getan.

Das war die erste Demonstration, die ich

erlebt habe; ohne Wasserwerfer und berit-

tene Polizei. Der Stadtbevölkerung waren die

Preise der Bauern zu hoch, und das war ihre

Antwort darauf. Man hatte das unter sich

geregelt. Die Bauern senkten die Preise und

die Stadtbevölkerung schien zufrieden. Zu

derartigen Tumulten kam es nicht mehr. Der

Einstieg in die freie Marktwirtschaft, in der

bekanntlich Angebot und Nachfrage den Preis

regeln, verlief nicht immer ganz friedlich.

Marianne Ludorf

Oberhausen-Sterkrade,

Nordrhein-Westfalen

geboren 1931

2007 verstorben

www.zeitgut.de

32 | JUNI 2018

Foto © Archiv-Verlag Zeitgut

Foto: Währungsreform am 20.Juni 1948: Wie

in Frankfurt am Main standen an diesem

Tag in allen Dörfern und Städten der drei

westlichen Besatzungszonen Menschen vor

Banken und Geldumtauschbüros an. Foto:

BfH (aus Reihe Zeitgut Band 8)

Entnommen aus dem Buch

Morgen wird alles besser

West-Deutschland 1947-1952

39 Geschichten und Berichte von

Zeitzeugen.

352 Seiten mit vielen Abbildungen,

Ortsregister, Chronologie, gebun-

den.

Zeitgut Verlag, Berlin.

www.zeitgut.de

ISBN: 978-3-86614-143-8