Previous Page  34 / 38 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 34 / 38 Next Page
Page Background

Mag. Markus Neumeyer

www.buchteufel.at

information & interview

Buchteufel-Interview

Claus Leggewie

europäischen Nationen haben sich am

Krieg in Syrien beteiligt. Sind Sie immer

noch optimistisch?

Das hat doch nichts mit Optimismus zu

tun. Der Sieg von 5 Stelle/Lega Nord und

der türkis-blaue Faschismus in Öster-

reich, vor allem aber die Bestätigung

Orbans und die Entwicklung in Polen

zeigen doch, was auf dem Spiel steht

und wie notwendig eine Gegenreaktion

ist. Die fällt derzeit zu schwach aus, aber

das ist kein Grund zu Resignation, oder?

Auch Sie haben erkannt, dass die EU in

ihrer schwersten Krise seit ihrem Beste-

hen steckt. Was sind Ihrer Meinung nach

die Hauptgründe für den Tiefpunkt einer

einst großen politischen Idee?

Wie Emmanuel Macron sagt, haben wir

eben keine große Idee, kein europä-

isches Ziel mehr vor Augen, wir erschöp-

fen uns und Europa in Besitzstands-

wahrung und nationalem Egoismus. Die

Nationalisten werden das Projekt vor die

Wand fahren.

Laut Ihren Worten ist „im politischen

Raum derzeit alles möglich“, was mei-

nen Sie damit?

Eben alles: einen neuen Faschismus

ebenso wie eine Renaissance der EU! Es

kommt auf jeden einzelnen an.

Sie betonen immer wieder die Mög-

lichkeiten die aufgeklärte Bürgerinnen

und Bürger in einer neu gedachten EU

hätten. Können Sie uns kurz erklären

welche das sein könnten?

C

laus Leggewie ist Professor

für Politikwissenschaft an der

Universität Gießen. Er war

Mitglied des Wissenschaftlichen

Beirates Globale Umweltveränderungen

der deutschen Bundesregierung und hat

neben seinen Lehrtätigkeiten an vielen

europäischen Instituten und Universi-

täten schon mehrere Bücher zur Politik

der Gegenwart verfasst. Wir haben ihm

einige Fragen zu seinem Buch Europa

zuerst gestellt.

Sehr geehrter Herr Leggewie, Ihr Buch

ist eine europäische Unabhängigkeitser-

klärung, das stellen Sie bereits im ersten

Satz klar. Welche Art der Unabhängig-

keit meinen Sie damit?

Vor allem eine geistige, intellektuelle,

die Europa von seinen einstigen Schutz-

mächten abhebt, ohne aus der west-

lichen Wertegemeinschaft auszutreten.

Dann eine wirtschaftliche und vor allem

sozialpolitische - in Europa muss eine

Marktwirtschaft gestärkt werden, die

den außer Kontrolle geratenen Kapita-

lismus wieder sinnvoll und verträglich

in gesellschaftliche Prozesse einbettet.

Schließlich eine politisch-kulturelle, die

das Projekt der Vertiefung der Europä-

ischen Union verfolgt und den Nationa-

lismus überwindet.

Seit der Erscheinung ihres Buches hat

sich wieder einiges geändert. In

Österreich ist eine rechtspopulistische

Regierung am Ruder, Populisten wie Vik-

tor Orban oder Silvio Berlusconi konnten

Wahlerfolge einfahren und die großen

34 | JUNI 2018