Mag. Markus Neumeyer
www.buchteufel.atinformation & interview
Buchteufel-Interview
Claus Leggewie
europäischen Nationen haben sich am
Krieg in Syrien beteiligt. Sind Sie immer
noch optimistisch?
Das hat doch nichts mit Optimismus zu
tun. Der Sieg von 5 Stelle/Lega Nord und
der türkis-blaue Faschismus in Öster-
reich, vor allem aber die Bestätigung
Orbans und die Entwicklung in Polen
zeigen doch, was auf dem Spiel steht
und wie notwendig eine Gegenreaktion
ist. Die fällt derzeit zu schwach aus, aber
das ist kein Grund zu Resignation, oder?
Auch Sie haben erkannt, dass die EU in
ihrer schwersten Krise seit ihrem Beste-
hen steckt. Was sind Ihrer Meinung nach
die Hauptgründe für den Tiefpunkt einer
einst großen politischen Idee?
Wie Emmanuel Macron sagt, haben wir
eben keine große Idee, kein europä-
isches Ziel mehr vor Augen, wir erschöp-
fen uns und Europa in Besitzstands-
wahrung und nationalem Egoismus. Die
Nationalisten werden das Projekt vor die
Wand fahren.
Laut Ihren Worten ist „im politischen
Raum derzeit alles möglich“, was mei-
nen Sie damit?
Eben alles: einen neuen Faschismus
ebenso wie eine Renaissance der EU! Es
kommt auf jeden einzelnen an.
Sie betonen immer wieder die Mög-
lichkeiten die aufgeklärte Bürgerinnen
und Bürger in einer neu gedachten EU
hätten. Können Sie uns kurz erklären
welche das sein könnten?
C
laus Leggewie ist Professor
für Politikwissenschaft an der
Universität Gießen. Er war
Mitglied des Wissenschaftlichen
Beirates Globale Umweltveränderungen
der deutschen Bundesregierung und hat
neben seinen Lehrtätigkeiten an vielen
europäischen Instituten und Universi-
täten schon mehrere Bücher zur Politik
der Gegenwart verfasst. Wir haben ihm
einige Fragen zu seinem Buch Europa
zuerst gestellt.
Sehr geehrter Herr Leggewie, Ihr Buch
ist eine europäische Unabhängigkeitser-
klärung, das stellen Sie bereits im ersten
Satz klar. Welche Art der Unabhängig-
keit meinen Sie damit?
Vor allem eine geistige, intellektuelle,
die Europa von seinen einstigen Schutz-
mächten abhebt, ohne aus der west-
lichen Wertegemeinschaft auszutreten.
Dann eine wirtschaftliche und vor allem
sozialpolitische - in Europa muss eine
Marktwirtschaft gestärkt werden, die
den außer Kontrolle geratenen Kapita-
lismus wieder sinnvoll und verträglich
in gesellschaftliche Prozesse einbettet.
Schließlich eine politisch-kulturelle, die
das Projekt der Vertiefung der Europä-
ischen Union verfolgt und den Nationa-
lismus überwindet.
Seit der Erscheinung ihres Buches hat
sich wieder einiges geändert. In
Österreich ist eine rechtspopulistische
Regierung am Ruder, Populisten wie Vik-
tor Orban oder Silvio Berlusconi konnten
Wahlerfolge einfahren und die großen
34 | JUNI 2018