LERNEN MIT ZUKUNFT Ausgabe Juni 2013 - page 12

Kaffeehaus ohne Kaffee:
GERÖSTETE GETREIDEKÖRNER UND WURZELN DER ZICHORIE ALS
ERSATZKAFFEE
Die schreckliche kaffeelose Zeit
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12 | JUNI 2013
Fotos: © Erica Guilane-Nachez- Fotolia.com
Besetzung und die Wiener beobachteten
in den Kaffeehäusern des Kohlmarktes
den Einmarsch der Soldaten eher wie Zu-
schauer einer amüsanten Veranstaltung,
oder um den Franzosenkaiser aus der
Nähe zu sehen. Aber Napoleon zog sich
in die Räumlichkeiten der Hofburg zurück
und zeigte sich nicht in der Öffentlich-
keit. So wurde der Marqueur (=Kellner)
Toni vom Cafe Wirschmidt, der dem
Franzosenkaiser zum Verwechseln ähn-
lich sah zu einer Wiener Attraktion.
Der grünbeschürzte Napoleonersatz
servierte zum Gelächter der Kaffeehaus-
gäste, half den Leuten in den Mantel,
verteilte die Zeitungen und wurde
Gegenstand verschiedener Späße und
boshafter Bemerkungen, die eigentlich
dem großen Eroberer galten. Nach
der Schlacht bei Austerlitz wurde ein
Friedensvertrag geschlossen und der
siegreiche Napoleon zog sich mit seinen
Diplomaten aus Wien zurück und bald
folgten die Besatzungstruppen nach.
KAFFEEÄHNLICHES GETRÄNK OHNE
KOFFEIN
Durch die Kontinentalsperre, die Napo-
leon verfügte, wurde der Warenverkehr
mit England unterbrochen und der Kaffee
zu den nicht handelbaren Waren zuge-
ordnet. Kaffee durfte weder als Bohnen
verkauft noch als Getränk angeboten
werden. Die Wiener Kaffeehäuser über-
lebten diese schwere Zeit, obwohl es nur
mehr Kaffee als Gebräu von Zichorie,
Erbsen und Gerste gab.
Prof. Franz W. Strohmer
Journalist, Vize Präsident
des Badener Presseclubs
I
m Jahre 1804 krönte sich der Konsul
Napoleon Bonaparte nach der Revo-
lution in Frankreich selbst zum Kaiser
der Franzosen und begann mit seinen
Truppen Europa zu überschwemmen.
So zogen die Soldaten des Korsen auch
in Richtung Wien. Man befürchtete eine
weitere Belagerung und wer Wagen und
Pferde auftreiben konnte, rettete seine
wertvollste Habe und das gehamsterte
Metallgeld aus der bedrohten Stadt,
was zum eklatanten Mangel an Münzen
führte. Die Stadtbehörde entschloß sich
deshalb zur Ausgabe von Papiergeld,
mit dem man allerdings nicht sehr viel
kaufen konnte, da die Preise
rasant in die Höhe schnellten.
Für eine Schale Kaffee reichte ein
„12 Kreuzerschein“ aber doch.
Zum Erstaunen der Wiener blieb
der Preis der Semmeln jedoch unverän-
dert. Allerdings waren sie nur mehr
in Knopfgröße zu haben, worüber
sich der „Wienerische Shakespeare“
Johann Nestroy auch entsprechend
lustig machte, indem er in einem
Kostüm mit Semmelknöpfen öffentlich
auftrat, was ihm auch einen Arrest-
aufenthalt einbrachte.
DER KELLNER TONI
Die Zweifel, ob die alten
Befestigungsanlagen dem
Ansturm der Franzosen
standhalten könnten,
erübrigten sich durch eine
im Namen des österrei-
chischen Kaisers Franz I. ausge-
sandte Deputation, die um Großmut
Napoleons bat. Es kam zur kampflosen
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