LERNEN MIT ZUKUNFT Ausgabe September 2013 - page 12

Gedankenaustausch und Geselligkeit:
WIRKUNGSSTÄTTE VON LITERATEN UND KÜNSTLERN
Das Silberne Kaffeehaus
ONLINEZEITUNG:
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„Einerseits die entschiedene Abneigung
des damaligen Regierungssystems gegen
die lebendigere Regsamkeit aufstre-
bender Geister und gegen jede Art
von Vereinswesen, insbesondere wo
es literarischen oder politischen Ten-
denzen gelten konnte. Andererseits das
unabweisbare Bedürfnis des Ideen- und
Meinungsaustausches unter strebsamen
jugendlichen Gemütern, welche die
gleiche Geistesrichtung vereinigte, hatte
zu dem unverfänglichen Auskunftsmittel
geführt, den freien Besuch und die gesel-
ligen Freuden eines öffentlichen Ver-
gnügungsortes zum Anknüpfungs- und
Vermittlungspunkte für einen lebendigen
geistigen Verkehr zu wählen, welcher
allen, ursprünglich wünschenswert,
allmählich überaus lieb, ja ganz unent-
behrlich wurde.“
Im ersten Stock des „Silbernen Kaffee-
hauses“ hatte sich ein Parlament des
Geistes etabliert.
„Hier wurde der Wert jedes Talentes
bestimmt, die Herausgabe manchen
poetischen Produktes vermittelt oder
vereitelt, hier prophezeite die Kritik aus
schwarzem Kaffeesatz den künftigen
Ruhm, und manche Zelebrität ging wie
Rauch der langen Tabakspfeifen in die
Luft“, meinte Ludwig August Frankl.
Als der Däne Johann Martensen, der spä-
tere Bischof von Seeland in Wien Zugang
zu schriftstellerischen Kreisen wünschte,
wurde ihm das „Neunersche Kaffee-
haus“ empfohlen, wo er bald Zeuge und
Teilnehmer fesselnder Gespräche wurde.
Prof. Franz W. Strohmer
Journalist, Vize Präsident
des Badener Presseclubs
VIDEO
"Herstellung
Wr. Kaffee":
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Smartphone
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S
chon immer war das Wiener
Kaffeehaus eine Stätte des Mei-
nungsaustausches, des Spieles
und des Tratsches. Waren die Räum-
lichkeiten zunächst düster und eher
ungemütlich, so begannen engagierte
Kaffeesieder nun, ihre Lokale prunkvoll
einzurichten, um damit die Gäste län-
gere Zeit zu binden und eine geistige Eli-
te anzulocken. So renovierte auch Ignaz
Neuner sein Kaffeehaus an der Ecke
Plankengasse/Spiegelgasse und steckte
viel Geld auch in einen ersten Stock. Ele-
gante Möbel, prächtige Tapeten wurden
angeschafft und das Edelmetall „Sil-
ber“ glänzte überall: silberne Haken für
Kleider und Hüte an der Wand, silberne
Serviertassen mit silbernen Kannen und
Silberbesteck auf den Tischen.
Schon wenige Tage nach Ende der
Renovierung wurde das „Neunersche
Kaffeehaus“ allgemein „Silbernes
Kaffeehaus“ genannt. Da die Literaten
im Metternichschen Überwachungsstaat
keine Vereine oder Klubs gründen durf-
ten, mussten sie einen Ausweg finden,
um zu einem Gedankenaustausch zu
kommen.
Der Dichter Anastasius Grün (eig. Anton
Alexander Graf Auersperg) hat in einer
Analyse genau beschrieben, warum die
Wiener Autoren ein öffentliches Lokal
zum Sitz ihres nicht konstituierten Ver-
eines erwählten:
Franz Grillparzer
Ferdinand Raimund,
Radierung
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