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21 | JUNI 2016

Ihre Mutter war Logopädin.

Sophie Freud:

Sie war eine hervorra-

gende Stimm- und Sprachtherapeutin

und arbeitete bis knapp vor ihrem Tod

in Spitälern und in ihrer Privatpraxis.

Nachdem sie noch im Alter von 59 Jah-

ren ihr Doktoratsstudium beendet hatte,

musste man sie als Akademikerin auch

entsprechend anerkennen.

Sie verdiente sehr gut und hinterließ ih-

ren Enkelinnen beträchtliche Ersparnisse.

Meine Mutter hat mir gezeigt wie man

richtig arbeitet, wie man richtig liebt,

konnte sie mir aber nicht beibringen.

Sie haben zu Ihrer Tante, der berühmten

Kinderpsychoanalytikerin Anna Freud

eine späte Beziehung entwickelt. Sie

sagten, sie hätten sich in sie verliebt.

Sophie Freud:

Ich weiß nicht mehr, was

mich bewog, diese strenge, reservierte

Tante in London aufzusuchen. Aus ge-

legentlichen Besuchen wurden fast täg-

liche. Immer längere Abende saß ich an

ihrem Bette und hörte ihren Erzählungen

zu. Oft lachten wir miteinander und ich

konnte mit Entzücken feststellen, dass

sie im Herzen ein Kind geblieben war.

Können Sie sich auch noch an Ihren

Großvater erinnern?

Sophie Freud:

Ja, natürlich. Wir haben

ihn fast jeden Sonntag in der Berggasse

besucht. Wir wohnten ja nicht weit ent-

fernt – am Franz Josefs Kai. Er war aber

schon ein alter Mann und schwer krank.

Der Krebs hatte die gesamte Mundhöhle

zerstört.

Aus den Aufzeichnungen

seiner Krankengeschichte geht

hervor, dass er furchtbare

Schmerzen erdulden musste,

aber schmerzstillende Mittel

ablehnte - außer gelegentlich

Aspirin – um arbeitsfähig

zu bleiben. Er war lieb und

freundlich. Und Zigarre hat er

noch immer geraucht, obwohl

sie wahrscheinlich eine der

Ursachen seiner Erkrankung

gewesen ist.

Ihr Großvater hat sich immer

als Wiener gefühlt und wollte

eigentlich nie weg.

Sophie Freud:

Der amerika-

nische Präsident Roosevelt,

der italienische Diktator

Mussolini und viele andere

versuchten bei Hitler zu inter-

venieren, den weltbekannten

Mann ordentlich zu behan-

deln. Aber es war gut, dass er

Wien verließ. In London wurde

er triumphal empfangen.

Dort konnte er auch in Ruhe

sterben.

Fühlen Sie sich selber noch als

Wienerin?

Sophie Freud:

Oh ja, schon.

Wien ist eine wundervolle

Stadt. Und die Heimat bleibt

immer die Heimat.

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