Eine Institution:
PROBIER`S MAL MIT GEMÜTLICHKEIT
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Das Wiener Kaffeehaus
ONLINEZEITUNG:
information & entwicklung
information & entwicklung
Prof. Franz W. Strohmer
Journalist, Vize Präsident
des Badener Presseclubs
M
an muß wissen, daß das Wie-
ner Kaffeehaus eine Institution
besonderer Art darstellt, die mit
keiner ähnlichen der Welt zu vergleichen
ist, schrieb Stefan Zweig, der berühmte
Verfasser der "Schachnovelle" in seinem
Traktat "Das Kaffeehaus als Bildungs-
stätte". Es ist eigentlich eine Art demo-
kratischer, jedem für eine billige Schale
Kaffee zugänglicher Klub, wo jeder Gast
für diesen kleinen Obolus stundenlang
sitzen, diskutieren, schreiben, Karten
spielen, seine Post empfangen und vor
allem eine unbegrenzte Zahl von Zei-
tungen und Zeitschriften konsumieren
kann.
In einem besseren Wiener Kaffeehaus
lagen alle Wiener Zeitungen auf, und
nicht nur die Wiener, sondern die des
ganzen Deutschen Reiches und die
französischen und englischen und italie-
nischen und amerikanischen, dazu sämt-
liche wichtigen literarischen und künst-
lerischen Revuen der Welt. So wußten
wir alles, was in der Welt vorging, aus
erster Hand, wir erfuhren von
jedem Buch, das erschien, von
jeder Aufführung, wo immer sie
stattfand, und verglichen in allen
Zeitungen die Kritiken; nichts hat
vielleicht so viel zur intellektuellen
Beweglichkeit und internationalen
Orientierung des Österreichers
beigetragen, als daß er sich im
Kaffeehaus über alle Vorgänge der
Welt so umfassend orientieren und
sie zugleich im freundschaftlichen
Kreise diskutieren konnte.
12 | SEPTEMBER 2014
VIDEO
"Cafe Central,
Wien und Peter
Altenberg":
QR-Code
Die Geschichte der Wiener Kaffeehäuser,
von denen es im Jahre der Wiener
Weltausstellung 1873 bereits über 200
gab, war ein ewiges auf und ab.
Nach Ende des Ersten Weltkrieges
wurden viele der schon auf 8o4 ange-
wachsenen Treffpunkte der Wiener in
Bankfilialen umgewandelt. In der Zeit
der weltweiten Wirtschaftskrise der
Dreißigerjahre zeigte sich ein gegenläu-
figer Trend. Bankfilialen wurden wieder
zu Kaffeehäusern. In den Fünfziger- und
Sechzigerjahren gab es ein großes
Kaffeehaussterben unter den nun schon
über tausend Wiener Kaffeehäusern,
nicht zuletzt durch die Einführung des
Espresso.
Ende der Siebzigerjahre wurde es wieder
besser und viele traditionelle Wiener
Kaffeehäuser wurden restauriert, insbe-
sondere durch die Unterstützung der
Gemeinde Wien aus dem Altstadterhal-
tungsfonds, für welche sich der damalige
Kulturstadtrat und spätere Bürgermeister
Zilk vehement einsetzte.
Und die Wiener zogen als zahlreiche
Gäste in die nunmehr wieder zum Leben
erweckten kulinarischen Zweitwohnsitze
ein und genießen seitdem die unver-
wechselbare Atmosphäre und die Begeg-
nung mit interessanten Persönlichkeiten,
die sich ebenfalls wieder einfanden.
Stefan Zweig
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