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Wahnsinn
Der Fall H. A. Se. - Teil 1:
DENN SIE WISSEN NICHT, WAS SIE TUN?
ONLINEZEITUNG:
information & gesundheit
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6 | MÄRZ 2014
Fotos: © Kletr - Fotolia.com
kaum ganzheitlich hinterfragten, zwang-
haften Medikation verloren. Der Kranke
wird zum Objekt, zur Sache, zum Fall
und aus der Gesellschaft verbannt und
vielfach auch nicht mehr resozialisier-
und heilbar. Die Symptomatik (erkenn-
bare Anzeichen) wird chronifiziert, der
Kranke zum gefährlichen Pflegefall.
VIELFÄLTIGE ERSCHEINUNGS-
FORMEN
Was weiß man aber wirklich über das
"wahnhafte Geschehen" (über die
Psychose). Es kann eine sogenannte
"genetische Prädisposition"vorliegen,
das heißt, dass in betreffenden Familien
schon in früheren Generationen oder
jetzt bei anderen Familienmitgliedern
wahnhafte Erkrankungen aufgetreten
sind. Beim Fall H. A. Se. starb die Mutter
durch Suizid (Selbstmord), die Cousine
leidet an "Schizophrenie". Dies sagt
aber nicht aus, dass unbedingt über Ge-
nerationen bei allen Familienmitgliedern
die Krankheit ausbrechen muß.
Es gibt bekannte Auslösefaktoren und
viele Vermutungen, was dazu führen
kann, dass Menschen die Kontrolle über
ihre Handlungen, über ihre Denkweisen
und Empfindungen verlieren. Wie der
Verlauf sich darstellt und die Behandlung
einer Psychose sein kann oder vielleicht
sich einmal ändern müsste, wird vom
Fall H. A. Se. ausgehend, der an einer
sogenannten schizoaffektiven Psychose,
also einer Mischform typischer psy-
chotischer Erkrankungen leidet, weiter
demonstriert werden.
E
in etwa fünfzigjähriger Mann
fährt mit einer Geschwindigkeit
von rund 20 km/ h in Schlangen-
linien auf der Autobahn, wird von der
Polizei aus dem Verkehr gezogen und
aufgrund seines aggressiven Verhaltens
in eine psychiatrische Klinik gebracht.
Bei der Aufnahme zeigt sich der Mann
krankheitsuneinsichtig, verweigert jede Behand-
lung, bedroht das Krankenhauspersonal und
zerstört, realgedanklich stark eingeschränkt,
Teile des Stationsinventars. Nach einem
tätlichen Angriff auf den untersuchenden Arzt
wird der offensichtlich psychisch Kranke fixiert
(mit Gurten gefesselt) und mit Psychopharmaka
(Mittel zur Beruhigung und zur Auflösung des
wahnhaften Geschehens) zwangsmediziniert
(Medikamenteverabreichung erfolgt in die Vene
oder in den Muskel mittels Injektionsnadel), um
eine rasche und länger andauernde Wirkung zu
erzielen.
DEUTLICHE EINSCHRÄNKUNGEN
Es stellt sich bei den Erhebungen der Vorge-
schichte heraus, dass der Betreffende sich schon
mehrmals in psychiatrischen Kliniken aufgehal-
ten hat, teils gezwungen, teils auch freiwillig,
dass es auch über längere Zeit zu keinen Phasen
der Erkrankung gekommen ist, dass aber nun-
mehr öfter und immer schwerwiegendere wahn-
hafte Episoden mit verschiedenen strafbaren,
meist marginalen, aber teilweise bedrohlichen
Delikten auftreten. Der Mann erhält einen be-
vollmächtigten Betreuer, der den Lebensvollzug
des Kranken durch sein Einspruchsrecht bei den
Dingen des täglichen Lebens massiv beeinflus-
sen und dadurch auch grundlegend verändern
kann. Alles Individuelle, geht im Zuge dieser
Betreuung und der vielleicht oft auch kontrapro-
duktiven (weil unpassenden),
Prof. Franz W. Strohmer
med. Journalist