Familie der Zukunft:
NEUE TECHNIKEN DER FORTPFLANZUNGSMEDIZIN LASSEN
GANZ NEUE FAMILIENSTRUKTUREN ENTSTEHEN
information & wissenschaft
Thomas Kolbe
Fachwissenschaftler
für Versuchstierkunde,
Ass.-Prof. für die
Service-Plattform
Biomodels Austria
Veterinärmedizinische
Universität Wien
Mutter, Mutter, Vater
Foto: ©
pixabay.comBei 2 von 16 Babys wurde das Turner-Syndrom
(fehlendes Y-Chromosom) festgestellt. Daraufhin
wurden alle weiteren Behandlungen mit dieser
Technik eingestellt. Zur Überraschung vieler
Fortpflanzungsmediziner wurde im Oktober 2016
bereits über die Geburt des ersten nach der neuen
Technik gezeugten Babys berichtet. Diesmal wur-
den die Embryonen vor der Übertragung ausführ-
lich getestet und wieder hatten 3 der 4 Embryonen
genetische Schäden. Aus dem vierten Embryo
entwickelte sich dann aber ein gesundes Kind.
Forscher der VetMedUni in Wien haben die Auswir-
kungen solcher Techniken im Tiermodell auspro-
biert und unerwünschte Nebeneffekte festgestellt.
Dennoch hat sich die Fortpflanzungslobby bereits
gegen diese warnenden Stimmen durchgesetzt und
nach den USA und Kanada auch in Großbritannien
eine Legalisierung dieser Fortpflanzungstechnik
bewirkt.
Inzwischen geht es nämlich gar nicht mehr um
den therapeutischen Nutzen bei kranken Men-
schen. Wo bisher die fruchtbare Lebensphase der
Frau mit Hilfe von In vitro-Befruchtung (IVF) und
Spermieninjektion (ICSI) bis Mitte 40 ausgedehnt
werden konnte, erscheint jetzt eine Erfüllung von
Mutterfreuden bis in das 60. Lebensjahr möglich.
Auch eine Vereinbarkeit von früher beruflicher
Karriere und Familie ist leider für die meisten
Frauen immer noch nicht gegeben. Die Alter-
native zum späten Nachwuchs aus fremden
Eizellen kommt auch aus den USA und nennt
sich „Social Freezing“. Frauen lassen in
jungen Jahren eigene gesunde Eizellen
einfrieren, um sie Jahrzehnte später für die
Erzeugung von Nachwuchs verwenden zu
lassen. Manche Arbeitgeber finanzieren
das sogar, um eine Karenzierung ihrer
Mitarbeiterinnen in den produktivsten
Arbeitsjahren zu vermeiden. Brave New
World? Oder einfach die Nutzung des bio-
technisch Machbaren um das Maximum
aus dem Leben herauszuholen?
15 | DEZEMBER 2016
P
atchwork-Familien sind nichts Un-
gewöhnliches mehr. An Familien
mit zwei gleichgeschlechtlichen
Eltern werden wird uns in Zukunft
wohl auch gewöhnen. Aus dem Gebiet
der Fortpflanzungsmedizin kommt jetzt
aber die Familie mit drei Elternteilen.
Dabei spendet eine Frau die Eizelle,
eine Andere das Erbgut und zusammen
mit dem Erbgut des Vaters kann daraus
ein Kind entstehen. Es könnte sogar
noch eine Leihmutter als dritte Mutter
dazukommen. Dieses Verfahren wurde
ursprünglich entwickelt, um Familien mit
Erbkrankheiten zu helfen. Viele Arbeits-
schritte entstammen dem Klonen, was
aber beim Menschen weltweit verboten
ist. Die zum Klonen notwendigen Mani-
pulationen kann man aber genauso gut
dazu verwenden, das Erbgut einer Frau
von ihren geschädigten Eizellen in eine
gesunde Spendereizelle zu übertragen,
deren Erbgut man vorher entfernt hat.
Dadurch lässt man mit der alten Eizelle
auch die meisten Zellorganellen hinter
sich. Besonders die Mitochondrien,
die die Kraftwerke der Zelle sind und
für die Energieerzeugung zuständig,
können Defekte ansammeln. Wenn
von den ca. 2000 Mitochondrien einer
Zelle 30-40% defekt sind, bekommt die
Zelle Probleme. Und wenn das in vielen
Körperzellen passiert wird der Mensch
als Ganzes krank. Diese Zellkraftwerke
werden nur über die Mütter vererbt. Die
Idee der Fortpflanzungsmediziner klingt
also recht vielversprechend.
In Kanada wurde bereits eine andere
Methode angewandt, bei der alte Eizel-
len mit der Zellflüssigkeit von jungen
Eizellen „aufgefrischt“ wurden, ohne
vorher die Unbedenklichkeit in Tierversu-
chen zu überprüfen.