Ferien vor 70 Jahren:
ERINNERUNGEN WERDEN GESCHICHTEN
Die Natur war unser Spielplatz
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SEPTEMBER 2014 | 27
information & kindheit
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ONLINEZEITUNG:
W
enn ich heute meine Enkel-
kinder beim Planen ihrer Feri-
enzeit beobachte, bin ich tief
beeindruckt was der Jugend von heute
alles geboten wird. Sie dürfen mitreden
und mitwählen: Bauernhof in der Steier-
mark oder Finka auf Mallorca oder Umag
an der kroatischen Küste, Englischkurs
auf Malta oder ...
Wir fuhren jedes Jahr drei Wochen lang
zur Sommerfrische auf den Annaberg bei
Mariazell. Als Lehrerkinder waren wir
privilegiert und konnten den
Rest der Ferien unseren
kleinen Vergnügungen
nachgehen, während
die Bauernkinder
sehr viel an den
Höfen mitarbeiten
mussten. Ihre
Väter und groß-
en Brüder waren
als Soldaten im
zweiten Weltkrieg
eingezogen und die
Schulkinder mussten im
Stall und auf den Feldern fest zupacken.
Wir hatten auch unsere Aufgaben und
diese bestanden aus: Gemüsebeet von
Unkraut frei halten, Beeren sammeln in
den Wäldern (aus denen Mutter Mar-
melade kochte), Schwammerl suchen
(die teils gegessen, teils für den Winter
getrocknet wurden).
Ansonsten vergnügten wir uns auf unsere
Art. Die großen Geschwister gingen in
nahe gelegenen Teichen schwimmen und
Bootfahren. Mein kleiner Bruder und ich
spielten im Garten. Wir hatten in einer
Ecke eine Laube aus Haselnusssträuchern.
Es war für uns wie eine kleine Wohnung.
Für mich gab es einen zweiten Lieblings-
platz: das war der Birnbaum. Er hatte
nicht nur besonders gute Früchte, er war
auch ein wunderbarer Kletterbaum.
Ich hatte mir in einer starken Astgabelung einen
Rückzugsort geschaffen. Wenn ich traurig war,
kletterte ich mit meiner Puppe, einer kleinen Decke
und meinen Sorgen auf den Birnbaum und träumte
mir eine heile Welt.
Wir waren ohne TV-Gerät, CD-Player, Handy
und ohne Flugreisen zufrieden. Flugzeuge
kannte ich nur als Bombengeschwader
brummend hoch am Himmel, wenn
sie eine Stadt anflogen, um ihre
Bomben abzuwerfen und die kleinen
wendigen "Tiefflieger", die kleinere
Ziele beschossen.
Es gab in der 5 km entfernten Stadt zwar
ein Kino, aber ich kann mich nur an zwei
Filme erinnern, die wir im Klassenverband
sahen. Während des zweiten Weltkrieges den
Film "Reitet für Deutschland" und während der
russischen Besatzung sahen wir "Die steinerne
Blume". Es handelte sich um ein zauberhaftes
russisches Mädchen, das ich lange in mir trug.
Wenn ich heute zum Grab meiner Eltern und
Geschwister ins Waldviertel fahre, dann fahre
ich meinen Erinnerungen nach. Wir unternahmen
immer viele Spaziergänge, bei denen uns Vater die
Pflanzen- und Tierwelt nahebrachte.
Heute sind die Feldwege asphaltiert. Das Schul-
haus ist nun ein Feuerwehrhaus. Der einstige
Gemüsegarten ist eine Wiese, es gibt keine Laube
mehr.
Aber am meisten vermisse ich den Birnbaum.
Fotos: © Privatarchiv - Halzl
Ingeborg Halzl
Schreibpädagogin